Übungen

Dosta!

„Der Schlüssel der Geschichte ist nicht in der Geschichte, er ist im Menschen.“

Théodore Simon Jouffroy 
französischer Philosoph (1796–1842)

Überblick

Themen
  • Erinnerung
  • Krieg und Terrorismus
  • Diskriminierung und Intoleranz
  • Rassismus
Komplexität

Stufe 4

Gruppengröße

Beliebig (in Kleingruppen 2–3 Personen)

Zeit

1 Tag

Überblick

In dieser Übung wird ein Aktionsprojekt über den Völkermord in der NS-Zeit an Sinti*zze und Rom*nja (Sinti*zze und Rom*nja ist die alle Geschlechtsidentitäten umfassende Bezeichnung für Sinti und Roma) geplant und umgesetzt.

Fokus
  • Das Recht, nicht diskriminiert zu werden
  • Das Recht auf Leben
  • Kulturelle Rechte
Ziele
  • Opfer der NS-Völkermorde in den Blick nehmen – insbesondere die Sinti*zze und Rom*nja
  • Fähigkeiten zur Auswahl, Planung und Durchführung einer öffentlichen Aktion einüben
  • Gespür für Menschenwürde und Respekt entwickeln
Materialien
  • Flipchart-Papier und Marker
  • Kopien des Arbeitsblatts „Eine kurze Geschichte der Verfolgung der X“ (wenn gewünscht)
  • Für Teil 2, Auswahl und Planung einer Aktion, ein Internetzugang oder gedruckte Nachschlagewerke
  • Eventuell Kopien des Flussdiagramms für ein Aktionsprojekt (siehe dazu auch Kapitel 3 „Aktiv werden für Menschenrechte“ (PDF, 1 MB)
Vorbereitung
  • Teilen Sie im Vorfeld mit, dass es in dieser Übung um Völkermorde während der NS-Zeit gehen wird. Bieten Sie allen Teilnehmer*innen die Möglichkeiten an, vorab ein Einzelgespräch mit Ihnen zu führen oder den Raum während der Übung zu verlassen.
  • Kopieren Sie das Arbeitsblatt je 1x pro Kleingruppe
  • Lesen Sie Kapitel 3 „Aktiv werden für Menschenrechte“ (PDF, 1 MB)

Durchführung

Anleitung

Teil 1: Vorbereitung der Gruppe (90 Minuten)
  1. Es werden Kleingruppen zu zwei bis drei Personen gebildet.
  2. Verteilen Sie den Teilnehmer*innen (TN) entweder das Arbeitsblatt „Eine kurze Geschichte der Verfolgung der X“ oder wählen Sie daraus einige Informationen aus, die einen Einblick geben, welche Diskriminierungen und Verfolgungen die Minderheit X erfahren musste. Verraten Sie aber noch nicht, um welche Minderheit es sich handelt (Sinti*zze und Rom*nja).
  3. Diskutieren Sie kurz über die Reaktionen und geben Sie den Kleingruppen dann zehn Minuten Zeit, um folgende Fragen zu beantworten:
    1. Was glauben die TN, empfinden Angehörige einer verfolgten Minderheit heute?
    2. Wo liegen ihre größten Schwierigkeiten?
    3. Welche Maßnahmen vor Ort, im Land oder international wären hilfreich oder notwendig und welche Unterstützung bei der Aufarbeitung können andere leisten?
  4. Bitten Sie nun jeweils zwei Kleingruppen, sich zusammenzutun, um ihre Antworten zu besprechen. Geben Sie diesen Gruppen 15 Minuten Zeit, um eine Liste konkreter Vorschläge zu erstellen, die eine Minderheit, die Diskriminierungen erfahren hat, bei der Aufarbeitung unterstützen würde.
  5. Treffen Sie sich dann im Plenum und tragen Sie alle Vorschläge auf einem Flipchart zusammen. Erläutern Sie, dass die TN im zweiten Teil der Übung einen dieser Vorschläge praktisch umsetzen sollen. Doch bevor es weitergeht, stellen Sie folgende Fragen:
    1. Erraten die TN, um welche Minderheit es in dem Arbeitsblatt ging?
    2. Welche anderen Minderheiten wollten die Nazis außerdem vernichten?
    3. Was ist diesen Minderheiten hierzulande, eventuell auch in Ihrem Ort, im Zweiten Weltkrieg widerfahren?
  6. Fragen Sie, was die TN über die Situation der Sinti*zze und Rom*nja heute wissen. Welche Menschenrechte werden verletzt?
  7. Erzählen Sie der Gruppe von der Dosta!-Kampagne und schlagen Sie ein Aktionsprojekt zur Unterstützung dieser Kampagne vor, zum Beispiel eine Petition zu starten oder einen Videoclip zu drehen.
Teil 2: Auswahl und Planung eines Aktionsprojekts Dieser Teil der Übung basiert auf Kapitel 3 „Aktiv werden für Menschenrechte“ (PDF, 1 MB). Ausführliche Ideen finden Sie dort.
  1. Erläutern Sie, dass die Aktion nicht darauf abzielen kann, sämtliche Probleme zu lösen, die im ersten Teil der Einheit genannt wurden, dass aber ein konkretes, messbares Ergebnis angestrebt werden soll, von dem Sinti*zze und Rom*nja profitieren könnten.
  2. Fragen Sie die TN, welche Vorschläge auf dem Flipchart ihrer Meinung nach von der Gruppe umgesetzt werden könnten. Sie können auch Vorschläge eingrenzen oder andere ergänzen.
  3. Diskutieren Sie über die Vorschläge gemeinsam mit einer Organisation oder Vertretung von Sinti*zze und Rom*nja. Einigen Sie sich auf eine Aktion für die ganze Gruppe. Benutzen Sie das Flussdiagramm für ein Aktionsprojekt in Kapitel 3. Prüfen Sie, ob
    1. die ausgewählte Aktion zur Problemlösung beiträgt
    2. die Aktion in Anbetracht der verfügbaren Ressourcen und der möglichen Hindernisse realistisch ist
    3. die „Lösung“ ausreichend konkret ist, um am Ende feststellen zu können, ob die Aktion erfolgreich war
  4. Erstellen Sie eine Beschlussliste, damit alle wissen, was sie zu tun haben und wann.
  5. Dann geht es an die Arbeit!
Teil 3: Durchführung des Aktionsprojekts Nachbereitung und Auswertung

Nachbereitung und Auswertung

Fragen zur Aktion:

  • Sind Sie mit der Aktion insgesamt zufrieden? Warum (nicht)?
  • Was halten die TN von ihrem eigenen Beitrag und von der Arbeit der Gruppe?
  • Was wurde mit der Aktion im Wesentlichen erreicht? Entspricht das den ursprünglichen Zielen?
  • Hätte die Gruppe irgendetwas anders machen können, damit die Aktion mehr Wirkung entfaltet? Was genau und warum?
  • Was haben die TN für die nächste Aktion (zu irgendeinem anderen Thema) gelernt?

Fragen zum Lernprozess:

  • Was waren die wichtigsten Ergebnisse für Sie persönlich? Warum?
  • Haben sich Ansichten oder Einstellungen der TN geändert?
  • Was war an der Übung insgesamt am schwierigsten, vom ersten Schritt an bis zur Umsetzung der Aktion?
  • Wie könnte man auf das, was die Gruppe gemacht hat, aufbauen? Sind die TN dazu motiviert?
  • Was haben die TN in dieser Übung über Menschenrechte gelernt?
  • Ist es schwierig, eine Menschenrechtskampagne durchzuführen? Würden sich die TN nach dieser Übung an einer Menschenrechtskampagne beteiligen?
  • Sind die von den Sinti*zze und Rom*nja geforderten Rechte „speziell“ oder sind sie auch auf andere verfolgte Minderheiten anwendbar? Warum (nicht)?
  • Warum ist Erinnerungsarbeit für die Menschenrechtsbildung wichtig?
  • Wie findet die Aufarbeitung des Nationalsozialismus hierzulande und in Ihrem Ort statt?

Tipps für die Moderation

Einführung

Planen Sie für Teil 1, „Vorbereitung der Gruppe“, und Teil 2, „Auswahl und Planung eines Aktionsprojekts“, jeweils 90 Minuten und für Teil 4, Nachbereitung und Auswertung, 60 Minuten ein. Wie lange Teil 3, die Durchführung des Aktionsprojekts, dauert, hängt von der Aktion ab! Die verschiedenen Teile können direkt nacheinander stattfinden oder auf mehrere Tage verteilt werden.

Versuchen Sie, in Teil 1.2 und 1.3 keine Diskussion darüber aufkommen zu lassen, um welche Gruppe es sich bei X handelt. Mögliche Empörung über die Diskriminierungen könnte verpuffen, wenn klar ist, um wen es sich handelt. Die Vorurteile gegen Sinti*zze und Rom*nja sind allgemein so stark, dass einige TN Diskriminierung gegen sie unterbewusst (oder auch ganz bewusst) rechtfertigen könnten. Das sollten Sie unbedingt ansprechen und den TN in Teil 1.3 viel Zeit zur Diskussion ihrer Vorbehalte einräumen. Informieren Sie darüber, dass über drei Viertel der in Europa lebenden Sinti*zze und Rom*nja während des NS-Völkermords umgebracht wurden, in einigen Ländern sogar 90 Prozent.

In der kurzen Chronologie der Sinti*zze und Rom*nja -Vernichtung (siehe weiter unten) wurde jeder Hinweis auf Sinti*zze und Rom*nja oder den abwertenden Nazi-Begriff „Zigeuner“ durch X ersetzt.

Diese Übung ist nicht nur organisatorisch, sondern auch inhaltlich komplex. Überlegen Sie vorher, wie die Gruppe zusammengesetzt ist und wie sie vermutlich auf die Übung reagieren wird. Gibt es unter den TN Angehörige von Opfern des NS-Völkermords, sollten Sie mit ihnen vorab über die Übung sprechen, damit sie sich darauf vorbereiten können.

Gehen Sie jede Phase der Übung sensibel und flexibel an. Wenn Sie in der Diskussion merken, dass manche Gruppenmitglieder etwas länger brauchen, um ihre Gefühle auszudrücken, sollten Sie sie keinesfalls drängen. Wird die Gruppe zum ersten Mal mit derartigen Themen konfrontiert, ist es vielleicht besser, sich für Teil 1 separat 90 bis 120 Minuten zu nehmen und dann etwas Zeit verstreichen zu lassen, bevor Sie die Teile 2 bis 4 anpacken.

Wenn die Zeit knapp ist oder sich der Planungsprozess als schwierig erweist, können Sie das Flussdiagramm-Beispiel aus Kapitel 3 „Aktiv werden für Menschenrechte“ (PDF, 1 MB) einsetzen.

Es wird unbedingt empfohlen, im Planungsstadium und vor der eigentlichen Aktion Sinti*zze und Rom*nja-Aktivist*innen mit einzubeziehen. Zumindest sollten Sie abklären, ob die von Ihrer Gruppe geplante Aktion von ihnen gutgeheißen würde. Sie können Kontakt aufnehmen mit einer Selbstorganisation oder mit einer örtlichen Gruppe, die Sinti*zze und Rom*nja unterstützt.

Wenn die Gruppe länger beim Thema „Erinnerung, Gedenken und NS-Verbrechen“ bleiben möchte, kann sie sich mit den Diskriminierungsmethoden der Mehrheitsgesellschaft und der Kontinuität der Ausgrenzung (zum Beispiel hartnäckige Stereotype) befassen. Für eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Diskriminierungen und Verfolgungen zur NS-Zeit ist es sinnvoll, weitere Übungen anzuschließen (siehe auch Vorschläge zur Weiterarbeit).

Varianten

Eine englischsprachige Übung zum Themenfeld Diskriminierung von Sinti*zze und Rom*nja finden Sie bei „Learning from History“. Die Website bietet auch eine Chronologie der Verfolgung der Sinti*zze und Rom*nja währen der NS-Zeit:

Behandeln Sie eine andere Gruppe, die Opfer der NS-Völkermorde wurde. Die Website des Holocaust Memorial Day Trust ist dabei hilfreich. Sie bietet Informationen einschließlich didaktischer Materialien über alle von den Nationalsozialist*innen verfolgten Gruppen, unter anderem Menschen jüdischer Abstammung, Homosexuelle, Menschen mit Behinderungen, Sinti*zze und Rom*nja, Schwarze, Christ*innen, Zeug*innen Jehovas, nichtjüdische Menschen aus Polen und anderen slawischen Ländern, Menschen mit kommunistischen oder sozialistischen Überzeugungen und engagierte Gewerkschaftsmitglieder.

Weitere Informationen

„Dosta“ ist das Romani-Wort für „genug“. Es ist der Titel einer Sensibilisierungskampagne des Europarats, die darauf abzielt, Vorurteile gegenüber Sinti*zze und Rom*nja abzubauen.

Weitere Organisationen, die sich mit historisch-politischer Bildung beschäftigen, sind zum Beispiel die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ). Arbeitsgebiete und Ziele der Stiftung sind die Auseinandersetzung mit der Geschichte, das Handeln für Menschenrechte und das Engagement für die Opfer des Nationalsozialismus.

Gute Quellen für Bildungsmaterialien zum Holocaust sind auch die Anne-Frank- Stiftung, das Anne Frank Zentrum und der Anne Frank Fonds in Basel. Letzterer hält die Autorinnenrechte der Schriften von Anne Frank und wahrt ihre Persönlichkeitsrechte. Die Website „Du bist anders“ führt Geschichten über Jugendliche in der Zeit des Nationalsozialismus auf.

Arbeitsblätter

Video: Romnja Power - Ein Tag in Romani Chajis Leben

Video: Romnja Power - Verfolgungsgeschichte der Rom*nja

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